Der Holsteiner Verband hatte im Dezember zu einem besonderen Abend geladen: Im Foyer der Fritz-Thiedemann-Halle und im virtuellen Raum, nämlich via Livestream auf der Verbands-Website, fand eine interaktive Informationsveranstaltung zu modernen Reproduktionstechniken mit anschließender Podiumsdiskussion statt.
„Uns als Holsteiner Verband ist es wichtig, unsere Züchter und alle Interessierten möglichst umfassend über die Methoden zu informieren, sodass die Züchter im Anschluss selbst entscheiden können, welchen Weg sie in Zukunft mit ihren Stuten gehen werden“, sagte Geschäftsführer Norbert Boley vor Beginn. Und dass der Wissensdurst sowie das Interesse und zum Teil auch die Unsicherheit der Teilnehmer groß waren, zeigte sich im Verlauf des Abends immer wieder: Die – aufgrund der Corona-Situation stark begrenzt – zur Verfügung stehenden Plätze waren voll besetzt und rund 400 Teilnehmer hatten sich online zugeschaltet. Interaktiv wurde der Vortragsabend vor allem dadurch, dass auch die Zuschauer im Internet in einem Chatbereich Fragen stellen konnten, die Moderator Christoph Rowold auswählte und weitergab. Als Referenten wurden Jannie Spanner von VetEmbryo aus Dänemark, Michaela Kölling von Vet Art aus Dägeling und Dr. Christiane Müller (FN Tierschutzbeauftragte) gewonnen. Der Einladung zur Podiumsdiskussion sind Neel Schoof (stellvertretender Zuchtleiter des Trakehner Verbandes), Henrik Klatte (Zuchthof Klatte), Prof. Dr. Dr. hc mult. Ernst Kalm (ehem. Professor und Leiter des Instituts für Tierzucht an der Agrar- und Ernährungswissenschaftlichen Fakultät in Kiel) und Olaf Rörden (Hof am Sylvert) gefolgt.
Wie funktionieren die Techniken?
Der Embryo-Transfer
Der Embryotransfer ist eine schon recht verbreitete Methode: Einige Tage nach der Besamung einer Spenderstute wird der Embryo ausgespült und auf eine Trägerstute übertragen, die sowohl Trächtigkeit als auch Aufzucht übernimmt. Als Expertin für diese Technik stand Michaela Kölling von VetArt in Dägeling zur Verfügung. „Sportstuten können auf diese Weise trotzdem Fohlen bringen, Stuten mit sehr guter Vererbungsleistung mehrere Nachkommen pro Jahr haben und das Generationsintervall kann durch den Einsatz von zweijährigen Stuten verkürzt werden“, hob sie die Vorteile hervor. Außerdem sei der züchterische Einsatz von wertvollen Stuten, denen keine Trächtigkeit zugemutet werden soll (zum Beispiel aufgrund von Verletzungen) möglich. Natürlich gebe es auch Nachteile bei der Durchführung eines Embryo-Transfers: „Die hormonelle Beeinflussung der Spender- und Trägerstute können höher sein als bei OPU und ICSI, weil die Zyklen der beiden Stuten synchronisiert werden müssen“, erklärte Kölling. Deshalb müsse man sich im Klaren darüber sein, dass ein Embryo-Transfer nur in dem Zeitraum (circa März bis Oktober) möglich sei, in dem die Stuten rossten. Ein Leistungseinbruch der Spenderstute (im Sport) sei ihrer Erfahrung nach eher eine Befürchtung einiger Reiter und Besitzer und trete eher selten auf. Die Embryo-Rückgewinnungsrate, also die Erfolgschancen dieser Anwendung, liege zwischen 40 und 60 Prozent – sei aber sehr individuell und abhängig von vielen Einflussfaktoren (Alter der Stuten, Gesundheitszustand, Samenqualität etc.). Wurde ein Embryo gewonnen, liege die Anwachsrate in der Trägerstute bei 70 bis 80 Prozent. Ein wichtiger Faktor bei der Entscheidung für oder gegen einen Embryo-Transfer ist die Kostenfrage. Inklusive Leasing einer Trägerstute sei mit rund 4.500 Euro, mit eigener Trägerstute mit rund 1.100 Euro zu rechnen, vorausgesetzt es werde nur eine Spülung durchgeführt. „Der Embryo-Transfer hat seine Grenzen“, betonte Michaela Kölling. „Bei zervikalen Verletzungen (Anm. d. Red: die Gebärmutter betreffend), chronischen Gebärmutterentzündungen, blockierten Eileitern oder auch verminderter Samenqualität könnte allerdings durch Ovum Pick-Up immer noch ein Erfolg erzielt werden.“
Ovum Pick-Up (OPU) und Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI)
Die Techniken OPU und ICSI werden aufeinanderfolgend durchgeführt: Beim OPU werden zunächst Eizellen unter Ultraschallkontrolle durch eine transvaginale Punktion direkt von den Follikeln auf den Eierstöcken entnommen. Diese Prozedur dauert circa 60 Minuten. Ziel ist es, die Follikelflüssigkeit mit der enthaltenen Eizelle abzusaugen. Die so gewonnenen Eizellen werden unter dem Mikroskop unter strengen Hygienevorschriften gesucht, gewaschen und reifen dann im Brutschrank heran. Ist die Eizelle bereit zur Befruchtung, wird via ICSI-Verfahren ein einzelnes Spermium mit Hilfe einer sehr feinen Nadel direkt in die Eizelle injiziert. Im Anschluss reift die befruchtete Eizelle erneut für einige Tage im Brutschrank, bevor der so entstandene Embryo in eine Empfängerstute transferiert werden oder zum Transport oder zur Lagerung eingefroren werden kann. Diese Methoden ermöglichen den züchterischen Einsatz von Sportstuten oder anderen Stuten mit sehr hohem genetischen Potential, die anderweitig nicht in der Zucht eingesetzt werden können, sowie von Hengsten, von denen es nur (noch) wenige Spermien gibt. Denn eine 0,5 Milliliter Paillette mit TG-Samen, die üblicherweise für eine Stute verwendet wird, kann so für 8 ICSI-Sitzungen mit jeweils bis zu 10 Eizellen, also insgesamt für bis zu 80 ICSI-Durchgänge genutzt werden. Deshalb ist diese Technik auch für bereits verstorbene Vererber interessant, um die vorhandenen Sperma-Dosen gezielt einzusetzen. Jannie Spanner von VetEmbryo in Dänemark referierte über die Techniken, die seit Jahren ihren Berufsalltag bestimmen: „Es handelt sich um eine minimalinvasive Methode, die den Stuten kaum Schmerzen bereitet. Sie werden dafür ausschließlich sediert und können nach wenigen Tagen Regeneration in den sportlichen Einsatz zurückkehren.“ Laut Spanner entwickelten sich ungefähr 15 Prozent der befruchteten Eizellen zu einem Embryo, allerdings werden immer mehrere Eizellen entnommen und befruchtet. Rund 70 Prozent der überführten Embryonen führten zu einer Trächtigkeit. Die Erfolgsrate sei bei jüngeren Stuten deutlich höher als bei älteren: Neunjährige oder Jüngere könnten durch OPU/ICSI mit 80-prozentiger Wahrscheinlichkeit tragend werden. Die Gesamtwahrscheinlichkeit, in einer OPU-Sitzung einen oder mehrere Embryonen zu erhalten, liege durchschnittlich bei 56 Prozent. Auch bei dieser Methode haben vielerlei Rahmenbedingungen (Samenqualität, Anzahl der Follikel, Eizellqualität etc.) Einfluss auf die Erfolgsaussichten. Das so genannte „Sexing“, also die Geschlechtsbestimmung eines Embryos, sorgt im öffentlichen Diskurs immer wieder Diskussionen über die ethische Vertretbarkeit. Theoretisch möglich sei dies, aber nachgefragt worden sei das bisher von ihren Kunden nicht, so Spanner. Die Kosten für einen Durchgang OPU/ICSI beliefen sich auf rund 2.200 Euro, wenn eine erfolgreiche Sitzung abgehalten werde und sich die Empfängerstute im Privatbesitz befinde.
Stimmen aus der Praxis
Henrik Klatte vom Zuchthof Klatte in Lastrup sei zwar nicht grundsätzlich gegen die Anwendungen von OPU-/ICSI-Verfahren, übte aber dennoch Kritik: „Die aktuelle internationale Entwicklung schätze ich als gefährlich für Hengsthalter und Züchter ein. Eine große Anzahl von ICSI-Embryonen von nur wenigen verschiedenen Vätern aus wenigen Stutenstämmen wird auf den Markt gebracht, sodass die Blutvielfalt verloren gehen könnte.“ Seiner Meinung nach werde bei dieser Praxis häufig nur die Genetik zweier Pferde betrachtet und nicht die Pferde selbst.
Dr. Christiane Müller ist FN-Tierschutzbeauftragte und erklärte, dass in Deutschland der rechtliche Rahmen ein anderer sei als zum Beispiel in Holland oder Belgien, wo die Techniken bereits zur gängigen Praxis gehörten. Denn laut deutschem Tierschutzgesetz dürfe keinem Tier etwas abverlangt werden, dem es aufgrund seines körperlichen Zustands nicht gewachsen sei. Der Embryo-Transfer sei als minimalinvasiver Eingriff anerkannt, der Eingriff bei OPU/ICSI sei wesentlich größer. Sie appellierte deshalb an die Züchterschaft, auch die ethischen Aspekte ihrer Entscheidungen zu bedenken: „Es dürfen – laut Tierschutzgesetz – niemals kommerzielle Zwecke sein, die Sie diese Techniken auswählen lassen. Es muss immer einen vernünftigen Grund geben.“ Als diesen Grund könne man laut Professor Ernst Kalm zum Beispiel den Zuchtfortschritt innerhalb einer Population anführen.
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Olaf Rörden von der Insel Föhr ist Rinder- und Holsteiner Pferdezüchter. Mit Embryo-Transfer hat er bereits gute Erfahrungen gemacht, betont aber auch, dass die Zuchtprodukte eine den Kosten entsprechende Vermarktung erfahren müssten. „Die Fohlen müssen für ihre Züchter entweder einen hohen emotionalen Wert haben, oder für mindestens 15.000 Euro verkauft werden, wenn man alle Kosten einkalkuliert.“
Neel-Heinrich Schoof ist stellvertretender Zuchtleiter des Trakehner Verbandes und stammt aus einer Holsteiner Züchterfamilie. Ihm sei es wichtig, dass Züchter von den Techniken keine Wunder erwarten sollten: „Die Stute, die eingesetzt wird, muss gut genug sein – anderenfalls wird auch mit der besten Technik kein Olympiasieger entstehen.“ Der Einsatz solle seiner Meinung nach dosiert erfolgen, für Stuten mit ganz besonderer Genetik und sportlicher Leistung eingesetzt werden.
Mit den Erkenntnissen in die Körbezirke
Vor und nach der Informationsveranstaltung gab es die Möglichkeit, im Onlinebereich an einer Umfrage teilzunehmen. Züchter und Interessierte konnten mitteilen, ob sie Embryo-Transfer und OPU/ICSI in ihrer Zucht einsetzen würden. 57 Prozent waren vorher bereits Befürworter von Embryo-Transfer, 26 Prozent sprachen sich dagegen aus und 17 Prozent waren sich unsicher. Die Umfragewerte blieben auch nach der Veranstaltung in diesem Bereich. 25 Prozent der Teilnehmer wollten oder haben bereits OPU/ICSI angewendet, bevor die Veranstaltung stattfand, 38 Prozent waren dagegen und 37 Prozent waren sich unsicher. Die Verunsicherung der Zuschauer war nach dem Informationsabend deutlich gesunken: Nur noch 24 Prozent wussten nicht genau, ob sie sich für oder gegen OPU/ICSI entscheiden würden. 26 Prozent würden die Methoden einsetzen, 50 Prozent haben sich dagegen entschieden. Geschäftsführer Norbert Boley freute sich über das rege Interesse an der Veranstaltung. „Wir werden mit den Eindrücken in die Körbezirke gehen und weiter Gespräche führen, um entscheiden zu können, wie wir künftig mit den Samen unserer Hengste umgehen werden, die eine spezielle Verwendung erfordern.“
Die Aufzeichnung ist am 19.12. auf Clipmyhorse.TV und anschließend auf dem YouTube Kanal des Holsteiner Verbandes einsehbar.
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